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15. Jan. 2024

Florian Müller, Kommunikations- und PR-Experte mit Schwerpunkt auf Mode, psychischer Gesundheit und Nachhaltigkeit, verbindet sein Studium der Betriebswirtschaftslehre und Psychologie zwischen Berlin und Paris.


Seine Reise in die Welt der Mode begann in Paris und führte ihn durch verschiedene Modezentren weltweit, insbesondere in Ostasien, wo er nun als Experte arbeitet. In Berlin gründete er eine Kreativagentur, die sich auf das Guest Management von internationalen Modeveranstaltungen und PR spezialisiert hat. Zusätzlich schreibt er für internationale Fachpublikationen. Über die Mode hinaus vermittelt Florian Wissen im Bereich Kommunikation und Psychologie an internationalen Universitäten, mit psychotherapeutischer Autorisierung.


Seine Kampagne "Mental Health in Fashion", die Anfang 2023 gestartet wurde, wirft ein Licht auf die psychische Gesundheit in der Modebranche und deren breitere gesellschaftliche Auswirkungen. Florian setzt sich dafür ein, die psychische Gesundheit als Priorität für eine nachhaltige und positive Modebranche zu betrachten.


1. Du bist seit vielen Jahren als selbständiger PR-Berater und Dozent im In- und Ausland tätig. Was hat dich motiviert, die Kampagne „Mental Health in Fashion“ durchzuführen?

 

In meinen zwei Jahrzehnten in der herausfordernden Textilindustrie habe ich mentale Belastungen und Konflikte wahrgenommen, die oft im Schatten der schillernden Modewelt liegen. Der Druck, Standards zu erfüllen, die ständige Suche nach Perfektion und hohe Erwartungen, unter stellenweise verheerenden Arbeitsumständen, setzen die Modeakteur:innen einem beträchtlichen emotionalen Stress aus. Gleichzeitig bemerkte ich eine hohe Prävalenz psychischer Erkrankungen, die entweder von Menschen in die Branche eingebracht oder aufgrund der vorherrschenden Denkweise und Arbeitsstrukturen entwickelt wurden.

 

Auch sendet die Branche zum Teil Signale an die Öffentlichkeit, die die mentale Gesundheit beeinträchtigen können, beispielsweise in Form von Essstörungen. Obwohl es weiterer Risikofaktoren für die Entstehung einer psychischen Erkrankung bedarf, die außerhalb der Modeindustrie verortet sind, herrscht in meiner Berufssparte generell ein zu geringes Bewusstsein für dieses Thema. Mein Fokus erstreckt sich über die gesamte Lieferkette, und ich betrachte einen komplexen Rahmen möglicher psychischer Krankheiten in verschiedenen Kontexten.

 

Vor einigen Jahren entschied ich mich, zu den Wurzeln meines Psychologiestudiums zurückzukehren, absolvierte weitere Ausbildungen und erhielt die Zulassung zur psychotherapeutischen Tätigkeit. Mir war vor allem wichtig, Krankheitsbilder besser zu verstehen. Diese Erfahrungen motivierten mich zur Initiierung der Kampagne "Mental Health in Fashion", um ein Bewusstsein zu schaffen, das Stigma zu brechen, Strukturen zu hinterfragen und eine unterstützende Gemeinschaft für die durch Mode beeinflussten Menschen zu etablieren.


2. Was sind Deiner Meinung nach die größten Herausforderungen in der Modebranche bei der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen?


Zu den größten Hindernissen zähle ich hier den weit verbreiteten Druck, das Streben nach Perfektion, die Konkurrenz, Unsicherheiten und der Fokus auf äußerem Glanz. Die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und den internen Realitäten erschwert es, offen über psychische Gesundheit zu sprechen.

 

Besonders herausfordernd ist die Tatsache, dass die Modebranche stark auf ein perfektes Image ausgerichtet ist, sei es glamourös, luxuriös oder unnahbar. Die vermittelte vermeintliche Traumwelt bietet wenig Raum für Probleme und Leid. Dies führt nicht nur dazu, dass die Öffentlichkeit unrealistischen Idealen nachstrebt, sondern auch dazu, dass innerhalb der Modeindustrie Probleme oft ignoriert oder verschleiert werden - nicht selten sogar völlig unbewusst.

 

Ein Hindernis bei der Erkennung und Behandlung von mentalen Erkrankungen liegt darin, dass Betroffene diese möglicherweise nicht bei sich selbst erkennen oder aus verschiedenen Gründen nicht angehen können. Die Kampagne 'Mental Health in Fashion' hat das Ziel, die gesamte Lieferkette zu betrachten und auch diejenigen zu berücksichtigen, die unter katastrophalen Bedingungen arbeiten und keine Möglichkeit haben, über ihre psychischen Probleme zu sprechen. Es ist vielen noch unvorstellbar, dass beispielsweise das eigene Konsumverhalten einen Einfluss auf die psychische Gesundheit einer Fabrikarbeiterin in einem Billiglohnland haben kann.

 

Eines der wichtigsten Kampagnenziele ist es, die Sichtbarkeit mentaler Erkrankungen in der Modebranche zu erhöhen. Dabei spielt es keine Rolle, wo wir uns entlang der Lieferkette befinden, und ob es um persönliche Auswirkungen auf mich selbst oder andere geht, die durch mein Handeln oder Nichthandeln beeinflusst werden. Die größte Herausforderung besteht darin, dieses Ziel zu erreichen.


3. Durch Deine Lehrtätigkeit an der AMD Akademie Mode & Design in Berlin bist Du im ständigen Austausch mit der nächsten Generation von Kreativen und Designer:innen. Würdest Du sagen, dass Themen wie psychische Gesundheit für diese Generation wichtig oder wichtiger sind als für frühere Generationen?


Durch meine Lehrtätigkeiten an verschiedenen Bildungseinrichtungen erlebe ich, dass die nächste Generation von Kreativen offener für psychische Gesundheit ist. Im Vergleich zu früheren Generationen, die möglicherweise stärker vom Stigma beeinflusst waren, erkennt die heutige Generation die Bedeutung eher an und ist deutlich bereiter, darüber zu sprechen.

 

Obwohl die Wichtigkeit der psychischen Gesundheit schon immer präsent war, hat sich der Umgang damit im Laufe der Zeit deutlich gewandelt. Meine Studierenden zeigen einen souveräneren Umgang mit Themen, die in meiner eigenen Studienzeit tabuisiert waren. Dies betrifft auch mentale Fragestellungen.

 

Es ist wichtig zu betonen, dass es einen Unterschied macht, ob über psychische Gesundheit im Kontext der Prävention oder aus der Perspektive von Betroffenen mit mentalen Erkrankungen gesprochen wird. Bedauerlicherweise besteht nach wie vor eine erhebliche Kluft zwischen der Diskussion über präventive Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit im privaten und öffentlichen Rahmen einerseits und dem offenen Austausch über persönliche psychische Erkrankungen andererseits. Oft ist der letzte Fall noch mit Stigmatisierung verbunden.

 

Ein beeindruckendes Beispiel für den offenen Umgang mit dem Thema psychische Gesundheit erlebte ich kürzlich an einer Berliner Oberschule, wo ich ein Pilotprojekt zu Mental Health in Fashion initiierte. Die Kinder zeigten nicht nur Offenheit für den Lehrinhalt, sondern konnten auch erstaunlich über Emotionen und psychische Erkrankungen in kindgerechter Sprache sprechen. Dies verdeutlicht positive Veränderungen im Umgang mit psychischer Gesundheit, besonders bei jüngeren Generationen.



4. Was würdest Du Unternehmer:innen bzw. Designer:innen empfehlen, die ein ausgeglicheneres und gesundheitsförderndes Arbeitsklima schaffen wollen, aber nicht unbedingt die Mittel haben, dies im großen Stil umzusetzen?


Unabhängig von etwaig fehlenden finanziellen Mittel oder sonstigen Kapazitäten sollte ein Wille vorhanden sein, Veränderungen umzusetzen. Obwohl ich mich persönlich schwer mit Universallösungen oder Ratschlägen tue, lege ich einen fokussierten und schrittweisen Ansatz nahe. Es ist entscheidend, ein Bewusstsein für die Bedeutung der psychischen Gesundheit zu schaffen und eine offene Kommunikationskultur zu fördern.

 

Kleinere, kostengünstige Maßnahmen können bereits einen signifikanten Einfluss haben. Dazu gehört die Einführung flexibler Arbeitszeiten, um den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeitenden gerecht zu werden. Ebenso können Pausen- und Ruhebereiche geschaffen werden, um Teammitglieder:innen die Möglichkeit zur Regeneration und Stressbewältigung zu bieten.

 

Eine klare Kommunikation minimiert Missverständnisse und Unsicherheiten. Teamaktivitäten und regelmäßige Feedback-Schleifen stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. Kooperationen mit Organisationen, die sich auf mentale Gesundheit spezialisiert haben, können auch bei begrenzten Mitteln eine wertvolle Ressource darstellen. Workshops und Schulungen zur Stressbewältigung und Selbstfürsorge fördern das Verständnis für psychische Gesundheit. Aktuell arbeite ich an einer Schulung für eine Modemarke, um deren Führungskräfte für psychische Erkrankungen im Berufskontext zu sensibilisieren und konkrete Handlungsoptionen anzubieten. Ein in diesem Zusammenhang wichtiges Ziel, dass Verantwortliche verstehen, wie sie ihrem Personal in einem psychiatrischen Notfall während der Arbeitszeit helfen können – damit ist nicht gemeint, dass Diagnosen erstellt oder psychotherapeutische Aufgaben übernommen werden sollen. Häufig ist allerdings noch nicht Mal bekannt welche externe Stelle angerufen werden könnte oder wie ich zumindest für den Moment einen sicheren Ort für die betroffene Person schaffen kann.

 

Der Schlüssel zur Schaffung eines gesunden Arbeitsklimas liegt in der Priorisierung des Wohlbefindens und der Implementierung kleiner, nachhaltiger Maßnahmen im Einklang mit den verfügbaren Ressourcen.


5. Was können wir von Deiner Zusammenarbeit mit ASVOFF (A Shaded View on Fashion Film) im November 2024 erwarten?

 

Der Kooperationsansatz mit dem Fashion Film Event markiert eine bedeutende Erweiterung unserer Initiative zur Förderung der psychischen Gesundheit in der Modebranche. Diane Pernet, eine wegweisende Persönlichkeit in der Kreativindustrie, hat durch ihr 15-jähriges ASVOFF Festival einen einzigartigen Ort geschaffen. Dieser bringt Menschen aus verschiedenen Bereichen wie Schauspiel, Filmregie, Kunst und Modegrößen wie Suzy Menkes, Jean Paul Gaultier sowie der neuen ASVOFF Präsidentin Michèle Lamy zusammen. Während dieser besonderen Gelegenheit werde ich die neue Filmkategorie 'Mental Health in Fashion' einführen, die die Vielfalt der Modebranche und darüber hinaus anspricht.

 

Die Diversität wird sich nicht alleinig in den Wettbewerbsfilmen widerspiegeln, sondern auch in der internationalen, vielfältigen Jury. Diese bietet einen breiten Blickwinkel auf das komplexe Thema der mentalen Gesundheit. Die Kooperation ermöglicht eine kreative Integration der Thematik in die Welt der Mode und soll gleichzeitig das Bewusstsein für psychische Gesundheit vertiefen. Die eingereichten Filme werden neben ihrem visuellen Anspruch, sicherlich auch offene Diskussionen über Schwierigkeiten und Lösungen im Bereich des mentalen Wohlbefindens in der Branche anregen.

 

Diese Zusammenarbeit strebt danach, eine Brücke zwischen der Ästhetik der Mode und den realen Herausforderungen der mentalen Gesundheit zu schlagen. Ziel ist es, nicht nur Aufmerksamkeit zu erregen, sondern auch ein unterstützendes Umfeld inner- und außerhalb der Modeindustrie zu schaffen – eine Plattform für positive Veränderungen. Ich bin sehr gespannt welche Filmeinreichungen wir erhalten werden und hoffe auf eine rege Teilnahme.

 

 

Wir bedanken uns bei Florian Müller für das Gespräch.

 

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AUTOR:IN
Fashion Council Germany
ANSPRECHPARTNER:IN
Lydia Kleiber
INFOS ANFRAGEN
press[at]fashion-council-germany.org
MITGLIEDER
Im Gespräch mit Florian Müller, Sustainability, Fashion & Mental Health Professional: "Über mentale Gesundheit in der Modeindustrie"

Interview

Im Gespräch mit Florian Müller, Sustainability, Fashion & Mental Health Professional: "Über mentale Gesundheit in der Modeindustrie"

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